Jan David Zimmermann
„Wahrheiten sind erstarrte Metaphern“ -Luce Irigaray[1]
Framing & Kampfbegriffe
Der Begriff „Verschwörungstheorie“ ist mehr und mehr zu einem populistischen Kampfbegriff und einer pejorativen Fremdzuschreibung für Denkinhalte und Erklärungsmuster geworden, die von einem bestimmten, vorherrschenden (hegemonialen) Narrativ abweichen.
„Verschwörungstheorie“ bzw. „Verschwörungstheoretiker“ wird dabei ebenso inflationär verwendet wie der Begriff „Nazi“, sodass am Ende kein Platz mehr dafür ist, die echten (Neo-)Nazis und die echten (absurden) Verschwörungstheorien zu identifizieren.[2]
Vor allem ist „Verschwörungstheorie“ aber ein Begriff, der gewissermaßen den sprachlichen Rahmen vorgibt – einen Frame, für ein Konvolut an weiteren abwertenden Begriffen, die sich (mehr oder weniger) im selben Bedeutungsfeld befinden und eine gewisse Geschichte erzählen oder einen gewissen Zusammenhang assoziativ suggerieren wollen. So taucht der Begriff Verschwörungstheorie eben nie allein, sondern immer mit einem Set an weiteren Begriffen auf, die seit geraumer Zeit folgendermaßen heißen: Coronaverharmlosung, Maskengegner, Impfgegner, dubiose Quellen, Fake-News, Desinformation, Maßnahmengegner usw. – übrigens sind dabei die Wortteile -theoretiker, -gegner, -verharmloser etc. interessanterweise selten bis nie gegendert (aber dazu ein andres Mal mehr).
Ein gutes Beispiel dafür, wie mit verschiedenen anderen Begriffen der Rahmen „Verschwörungstheorie“ erzeugt wird, liefert etwa ein Beitrag auf der Homepage des österreichischen Musiksenders FM4 mit dem Titel „Aufregung an der Uni: Coronaverharmlosung im Hörsaal“[3]. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit einer Ringvorlesung, die sich multidisziplinär dem Thema Corona widmete, jedoch offenkundig die „falschen“ Experten zu Worten kommen ließ. Dass in dem FM4-Beitrag der Rahmen des Sprachlichen durch den Begriff „Verschwörungstheorie“ gesetzt ist, wird aber eben zunächst an verschiedenen anderen Begriffen ersichtlich; von „verschwörungstheoretische[n] Tendenzen/Inhalte[n] und Falschinformationen“ und „Verschwörungstheoretiker[n]“ wird erst gegen Ende des Beitrags gesprochen – ohne Verwendung jeglicher Quellen. Das Framing beginnt aber bereits in der Überschrift mit dem Wort „Coronaverharmlosung“. Jenem Begriff, der bei genauem Hinsehen signalisiert, dass hier ein Vorwurf in den Raum gestellt wird, dessen Definition genau genommen unklar ist und bleibt. Denn was ist Corona-Verharmlosung überhaupt? Was heißt das konkret? René Froschmayer, der Autor des Artikels, gibt darauf keine wirkliche Antwort, sondern stellt im Wesentlichen eine Behauptung auf, die wiederum nur durch andere abwertende Fremdzuschreibungen erklärt (bzw. eben nicht erklärt) wird. So folgt auf diese Überschrift die Beschreibung der Lehrveranstaltung mit folgenden Worten: „[…]wie sich zeigt, sind einige der Vorträge eher dubios.“
Die Bezeichnung „dubios“ wird im Laufe des Textes durch weitere abwertende Buzz-Words und Worthülsen wie etwa „umstrittene Lehrveranstaltung“, „umstrittener Allgemeinmediziner“ etc. ergänzt und erläutert so mithilfe dieser anderen Begriffe und nicht mithilfe von klar belegten Sachverhalten, warum das alles nun so dubios ist. Diese Art der Erklärung erfolgt also durch Axiomatik, durch ein axiomatisches System, das in sich geschlossen ist. Das ist jedoch eher ein rhetorischer Trick als eine neutrale/detaillierte Beschreibung der Lehrveranstaltungsinhalte.
Zwar zitiert der Autor „umstrittene“ Aussagen aus jener Vorlesungsreihe indirekt und schildert Verweise zu Vertretern von (angeblichen oder tatsächlichen) Verschwörungsinhalten, bleibt jedoch durchwegs jegliche Art der Quellenangabe oder eine Möglichkeit der Kontextualisierung und Nachverfolgung der Aussagen schuldig.
Eigentlich lobenswert: Besser man bezieht sich auf gar keine Quellen als auf dubiose. Ob das Zitierte dann tatsächlich gesagt wurde, kann zwar niemand überprüfen, aber wer wird sich mit derlei Kleinkram auseinandersetzen, wenn uns ein FM4-Schreiberling sagt, was wir zu denken haben.
Bezeichnend ist in dem Beitrag auch, dass Personen und Inhalte ausgespart werden, die ein anderes Bild zeichnen würden: Dass die promovierte und habilitierte Historikerin Andrea Komlosy, die die Ringvorlesung organisierte, sich seit vielen Jahren mit globaler Ungleichheit, Wirtschafts- und Migrationsgeschichte und anderen sozialhistorischen Themen beschäftigt, die für die gesellschaftlichen Umbrüche und Entwicklungen rund um die Corona-Krise sehr relevant sind, wird ebenso verschwiegen wie die Tatsache, dass der Public-Health-Experte Dr. med. univ. Martin Sprenger von der Medizinuniversität Graz einen Vortrag hielt. Dass Sprenger sich nicht gegen die Corona-Impfung ausspricht, sondern gerade aufgrund seines disziplinären Hintergrunds einen sehr differenzierten und umfassenden Blick auf das Corona-Thema (von Impfungen bis Lockdowns und Schulschließungen) besitzt, wird jedem klar, der seine (Fernseh-)Interviews oder andere seiner Beiträge kennt.[4]
Aussparungen von Informationen, die ein differenziertes und genaues Bild zeichnen würden, sind leider seit geraumer Zeit typisch für die meinungszentrierte Art der Berichterstattung, welche beinahe ausschließlich mit Framing arbeitet.
Framing & Nazis: Reductio ad Hitlerum
Ein weiterer Aspekt des Vorwurfs der Corona-Verharmlosung ist jener, den ich schon in einem anderen Blog-Beitrag von mir erläutert habe: Der Begriff „Corona-Verharmlosung“ aus dem FM4-Artikel verweist darauf, dass hier jemand etwas offenbar beinahe Kriminelles macht, denn „Corona-Verharmlosung“ – immer wieder in Abwechslung zu „Corona-Leugner“ auftretend – ist eine klare Analogiebildung zur Holocaust-Leugnung; und schließlich gibt es die Holocaust-Leugnung bzw. Verharmlosung als Straftatbestand.[5]
Der Bezug auf den Rechtsextremismus und Nationalsozialismus ist dabei kein Zufall, sondern stellt eine Formel dar, die die Berichterstattung über maßnahmenkritische (d.h. regierungskritische) Positionen oder Demonstrationen der letzten zwei Jahre bestimmt und eben das gezielte Framing prägte: Die Reductio ad Hitlerum. Diese Bezeichnung wiederum geht auf den Philosophen Leo Strauss zurück, der damit den Fehlschluss skizzierte, dass alles, was jemand sagt, der moralisch verwerflich oder fragwürdig ist, falsch sein muss. Also: Hitler ist schlecht. Hitler vertritt die Ansicht X. Die Ansicht X ist falsch.[6]
Dieser logische Fehlschluss wird immer wieder in Medien und Politik als Framing eingesetzt, um politische Gegner und Gegnerinnen, Kritikerinnen und Kritiker zu delegitimieren: Wer einen ähnlichen Gedanken (oder gar denselben!) wie ein „Nazi“ oder „Rechter“ hat (wobei rechts und „Nazi“ immer vermengt werden), der disqualifiziert sich in seiner moralischen Integrität. Die altbekannte Nazi-Keule wird nun auch auf jene angewandt, die mitunter gar nicht rechts sind, oder wo der klare Zusammenhang erst klargestellt werden müsste.
Mit Blick auf den Allgemeinmediziner und Vortragenden in genannter Vortragsreihe, Andreas Sönnichsen, schreibt etwa der FM4-Autor in seinem Beitrag eine komprimierte Zusammenstellung jeglicher Todsünden im gegenwärtigen öffentlichen Diskurs, abermals wieder inklusive Verweis auf rechte Parteien:
„Andreas Sönnichsen engagierte sich für die deutsche Basisdemokratische Partei. Dieser politischen Bewegung wird eine Nähe zur rechts-außen AfD und der Querdenken-Bewegung nachgesagt. Der Mediziner initiierte außerdem jenes inzwischen bekannte Schreiben, in dem er den Rücktritt des Präsidenten der österreichischen Ärztekammer fordert. Der von rund 200 Ärzt*innen unterschriebene Brief ist von Falschinformationen durchzogen wie ein flachsiges Schnitzel.“[7]
Zwar zitiert der Autor an dieser Stelle einen ORF-Artikel über Sönnichsens Entlassung, wer ihm jedoch die Nähe zur AFD nachsagt, bleibt ebenso unklar wie ein Quellennachweis, warum jener Brief an den Ärztekammerpräsidenten Falschinformationen enthielt.
Framing & Metaphern in der Linguistik
Gehen wir nun zurück zum Begriff des Framings selbst, der in verschiedenen Zusammenhängen verwendet wird: Framing ist eigentlich besonders aus den Sozialwissenschaften, aber auch aus den Sprach- und Kommunikationswissenschaften bekannt, wobei der Linguist George Lakoff als Vater des Framings gilt und sich viele Jahrzehnte mit der Thematik beschäftigt hat.[8]
Framing ist genau genommen etwas, was der kognitiven Ordnung von Situationen und Inhalten mittels Sprache dient und neutral ist. Begriffe und Situationen sind immer mit weiteren Begriffen und Vorstellungen verbunden und führen dabei zum alltäglichen metaphorischen Gebrauch von Sprache; dies gilt auch für andere Frames: Wer an Krieg denkt, wird etwa auch in seinen Assoziationen an einen Feind denken, an die Worte „kämpfen“, „Soldaten“, „Waffen“, usw. Wer kennt die Bedeutungsübertragung nicht, wenn man etwa auch im alltäglichen Leben gegen sich selbst „kämpft“, um nicht noch ein Stück Schokolade zu essen? Oder wenn man – übrigens studentensprachlich bis soldatensprachlich geprägt – davon spricht, den inneren Schweinehund zu „besiegen"?[9]
Politik & Medien: Krieg gegen das Virus
Grundsätzlich strukturieren wir daher mithilfe von Framing sprachlich unsere Welt. Ebenso interessant wie problematisch wird es jedoch, wenn Framing und Metaphern gezielt in Politik und Medien als Propaganda-Werkzeug verwendet werden, so wie an obigen Beispielen im FM4-Beitrag verdeutlicht. George Lakoff hat sich eingängig mit dem Thema Politik, Medien, Frames und Sprache in seinem Buch „Moral Politics“ (1996) beschäftigt, wobei er darin die unterschiedlichen Denk- und Sprachrahmen von linken und konservativen Politikern in den USA analysierte, und in seinem Buch erläuterte, von welchen Sprachbildern die jeweiligen politischen Ausrichtungen geprägt sind.[10]
Verwendete Begriffe sind daher in Politik und Medien niemals unschuldig.
Ein anderes Beispiel für politisches Framing mit Blick auf Corona wäre – neben den oben besprochenen Frames von kritischen Stimmen als Verschwörungstheoretiker und Rechtsextremisten – etwa der „Krieg gegen das Virus“ als konzeptuelle Metapher für den Versuch der Pandemie-Eindämmung. Ein Sprachbild, das wir sehr früh von offizieller politischer Seite (etwa von Emmanuel Macron) erlebt haben und das bis heute die Maßnahmen bestimmt.[11]
Krieg als Metapher ist nun ein Sprachbild, das grundsätzlich gerne herangezogen wird, um äußerste Maßnahmen politisch zu legitimieren. Auch George Lakoff beschreibt schon in dem Buch „Metaphors we live by“ (1980) – gemeinsam mit dem Philosophen Mark Johnson – anhand der Energiekrise der 1970er (Präsident Carter und die Ölstaaten) die Verwendung solcher Metaphorik:
„Die Krieg-Metapher erzeugt eine Reihe metaphorischer Ableitungen. Es gab einen "Feind" und die "Bedrohung der nationalen Sicherheit", weshalb es dringend erforderlich war "gezielte Maßnahmen zu ergreifen, Dringlichkeitsstufen festzulegen", […] "Sanktionen aufzuerlegen" […]“ [12]
Das erinnert uns doch ein wenig an etwas, oder?
Man beachte: Es handelt es sich bei der Schilderung von Lakoff und Johnson um die Energiekrise in den USA der 1970er Jahre, also um Zustände vor fast 50 Jahren im Amerika des Präsidenten Jimmy Carter. Noch gespenstischer wird es, wenn wir bei Lakoff und Johnson weiterlesen. So schreiben sie auf der Folgeseite zusammenfassend:
„Die Krieg-Metapher beleuchtete bestimmte Realitäten und verbarg andere. Die Metapher stellte nicht nur eine Möglichkeit dar, Realität zu betrachten; sie war gewissermaßen auch der Freibrief dafür, die Politik des Landes zu ändern sowie politische und wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen.“[13]
Lakoff und Johnson betonen also, wie dieses sprachliche Verwenden einer Kriegsmetapher nicht nur dazu führte, wie man die Wirklichkeit sieht, sondern auch dazu führen konnte, dass diese Wirklichkeit realpolitisch verändert wurde. Noch interessanter ist, was sie abschließend über die Rolle der Öffentlichkeit und der Bevölkerung sagen:
„Dadurch, daß die Metapher öffentlich akzeptiert wurde, war der Weg für bestimmte Konsequenzen bereitet: […] die Bevölkerung würde Opfer bringen müssen; wenn die Bedrohung nicht abgewendet würde, könne Amerika nicht überleben.“[14]
Ein ganz ähnliches Framing im großen Stil haben wir seit nun zwei Jahren: Der Ausnahmezustand, die Dringlichkeit und Notwendigkeit rechtfertigen Verordnung um Verordnung, neue Gesetze, Ausgrenzungsmechanismen von Bevölkerungsgruppen, eskalierende Sprache, ständige Bezugnahme auf „die“ Wissenschaft und „die“ Experten, Notzulassungen, das Aufgeben der Verhältnismäßigkeit und die Etablierung einer Freiheit auf Raten.
All das geschieht in etwa nach dem Credo „Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt“.
Weil wir uns eben im Krieg befinden, im Krieg gegen das Virus.
Aber der Zusammenhang von Sprache und Politik, Medien, Framing und Metaphern ist sicherlich auch nur eine kleine, garstige Verschwörungstheorie. Oder?
[1] Zitiert nach Lena Lindhoff: Einführung in die feministische Literaturtheorie, Metzler 1995, S.130. [2] Abseits davon muss eine Verschwörungstheorie ja neutral auch einmal als das wahrgenommen werden was sie ist: eine Theorie zu Verschwörungen. Aber der Zusammenhang von Wahrheit, Theorie und Verschwörung soll in einem anderen Blog-Beitrag thematisiert werden. [3] https://fm4.orf.at/stories/3020919/ , abgerufen am 07.01.2022. [4] Vgl. folgendes Interview: https://orf.at/stories/3211006/ , abgerufen am 17.01.2022. [5] Vgl. https://www.zeit.de/2021/36/holocaust-verharmlosung-leugnung-gleichsetzung-kolonialgeschichte-erklaerung , abgerufen am 07.01.2022. [6] So schreibt Strauss. „Unfortunately, it does not go without saying that in our examination we must avoid the fallacy that in the last decades has frequently been used as a substitute for the reductio ad absurdum: the reductio ad Hitlerum. A view is not refuted by the fact that it happens to have been shared by Hitler.“ Leo Strauss: Natural Right and History. University of Chicago Press 1965, S. 42–43. [7] Hier noch einmal der link zum Artikel: https://fm4.orf.at/stories/3020919/ , abgerufen am 17.01.2022. [8] Für eine Video-Erläuterung zu dem Thema vgl. https://www.youtube.com/watch?v=yBglQugobBI , abgerufen am 11.01.2022. [9] https://www.duden.de/rechtschreibung/Schweinehund , abgerufen am 12.01.2022. [10] Vgl. George Lakoff: Moral Politics: What Conservatives Know That Liberals Don't. University of Chicago Press, 1996 [11] Zu dieser Kriegs-Rhetorik gibt es dutzende Beispiele aus Politik und Medien: Angefangen von den Wortmeldungen des französischen Präsidenten Macron über verschiedene Presse-Mitteilungen in nationalen wie internationalen Zeitungen. Vgl. etwa https://www.diepresse.com/5938311/wie-wir-den-krieg-gegen-das-virus-gewinnen , oder https://www.derstandard.at/story/2000132028004/rudolf-striedinger-general-im-krieg-gegen-das-coronavirus , oder https://www.lemonde.fr/politique/article/2020/03/17/nous-sommes-en-guerre-face-au-coronavirus-emmanuel-macron-sonne-la-mobilisation-generale_6033338_823448.html , oder https://www.nytimes.com/2020/04/20/opinion/coronavirus-war-politicians.html , abgerufen am 12.01.2022. Einzig die New York Times warnten in ihrem Artikel – wohl in dunkler Erinnerung an den „War on Terror“ – vor den Gefahren dieser Kriegsmetaphorik. [12] George Lakoff, Mark Johnson: Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern. Carl-Auer-Verlag 2008, S.179. [13] Ebda., S.179-180. [14] Ebda. S. 180.
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