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Megamaschine: Portal für Wissenschafts-und Ideologiekritik

Updated: Sep 29, 2021

Jan David Zimmermann


"Objektivität ist die Wahnvorstellung, Beobachtungen könnten ohne einen Beobachter gemacht werden."- Heinz von Förster


Die Beobachtung von wissenschaftlichen Beobachtungen


Das Forschen macht auch vor der Forschung nicht Halt. Gegenstand der Wissenschaftsphilosophie und Wissenschaftsgeschichte ist die Wissenschaft selbst. Was ist ihr Wesen und wie entsteht wissenschaftliches Wissen? Wie sieht der Platz der Wissenschaft in der Gesellschaft aus? Wie verhält sie sich zur Politik und zur Industrie? Wie wird wissenschaftliches Wissen angewendet, wie wird es politisiert, wie wird es möglicherweise instrumentalisiert? Wie hat sich das Bild der Wissenschaft(en) im Laufe der Zeit verändert und wie verhält sie sich zum Technischen? Angesichts der Covid-19-Pandemie erscheint momentan nichts wichtiger als die kritische Analyse von Wissenschaft und Technologie und ihrer Verbindung zum Politisch-Ideologischen.


Der Fluss des Vergessens


In den letzten eineinhalb Jahren sind wir als Öffentlichkeit in den Fluss Lethe gestiegen und haben altbekannte Kritik und Analyse von Politik, Wissenschaft und Technologie (als Ideologie) vergessen oder zur Seite geschoben. Die in den philosophischen Kanon eingegangenen Werke von Hannah Arendt, Jürgen Habermas, Michel Foucault, Ivan Illich oder Herbert Marcuse, die vielfach auch gesellschaftliche Debatten um Macht, Diskriminierung von Bevölkerungsgruppen, Kapitalismus und totalitäre Tendenzen mitprägten; sie werden nun plötzlich nicht (oder kaum) auf gegenwärtige Entwicklungen angewendet oder besprochen. Dabei sind sie aktueller als je zuvor. Illichs "Nemesis der Medizin" - eine fundamentale Kritik am kapitalistisch-neoliberalen Medizinsystem der 1970er-Jahre (!) - wirkt im Eigentlichen, als wäre es unlängst erst geschrieben worden. Foucaults Analyse biopolitischer Verfügung über menschliche Körper durch den Staat oder Hannah Arendts Frage um die Rolle technologischen Fortschritts in der Ausübung totalitärer Herrschaft besitzen eine Aktualität, die einen frösteln lässt. Und die fortschrittskritische Behandlung von Wissenschaft und Technik als Ideologie bei Habermas und Marcuse sind zwar 50 Jahre alt, aber problemlos auf die Gegenwart anzuwenden.


Auch die Dystopien von George Orwell und Aldous Huxley sind schauerliche Beispiele einer real seit Jahrzehnten vorhandenen Entwicklungstendenz. Wer aber diese literarischen Schreckensszenarien als in der Gegenwart realisiert empfindet, wird plötzlich als politischer Extremist gebrandmarkt, Skeptizismus wird mit einem Mal zu etwas Verwerflichem. Vielleicht gerade weil die Parallelen so frappierend sind?


Die Korruption der Politik ist zu einem beträchtlichen Teil an ihrem (sichtbaren) Höhepunkt angelangt, die Glaubwürdigkeit politischer, aber auch wissenschaftlicher Akteure zum Teil völlig verschwunden.

Demonstrierende Regierungsgegner sind automatisch und per se Lebensgefährder, andere Demonstrierende dürfen ihren Anliegen hingegen ohne jegliche Einschränkungen nachgehen. Je nach politischer Gesinnung erscheint die pandemische Lage im einen Moment bedrohlich, im anderen wieder nicht. Dasselbe gilt für Reisen und Tourismus und vor allem für angeblich notwendige Maßnahmen: Gesundheitspolitische Maßnahmen besaßen in den letzten eineinhalb Jahren derart paradoxe Strukturen, dass sich ein großer Teil der Bevölkerung fühlte, als wäre man in einen Albtraum verstrickt, der zwischen Kafka und den Schildbürgern angesiedelt ist. Die fortschreitende Spaltung der Gesellschaft - nun in Geimpfte und Ungeimpfte - wird medial weiter angeheizt, die Corona-Cash-Cow in Zeitungen ad infinitum gemolken und von ständigen Horror-Schlagzeilen (sogar in sogenannten Qualitätsmedien) flankiert.


Das Resultat ist, dass viele Menschen aufgeben, sich ins (digitale) Biedermeier zurückziehen, die Andersdenkenden zu Idioten und Extremisten einerseits oder Systemlingen andererseits erklären, sich völlig anpassen und das Unzumutbare verdrängen, sich radikalisieren und/oder sich in absurde Social-Media-Welten flüchten.

Die Welt wird von Politik und Medien karnevalesk auf den Kopf gestellt, Werte umgewertet, die Sprache verroht dabei zunehmend, semantische Umbauten finden statt, Ausgrenzungen werden sukzessive vorgenommen und medial legitimiert. Das Philosophisch-Intellektuelle früherer Jahrzehnte wurde von einer medial und politisch kommunizierten Expertokratie abgelöst, die die Politik sich vor den Karren gespannt hat und die nun als deren Stichwortgeberin fungieren muss. Angst scheint nach wie vor das Gebot der Stunde zu sein und "Vernunft" ist, wenn man sich regelkonform verhält. Gleichzeitig sind Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit dabei immer wieder das Referenzsystem, auf das sich die "Vernünftigen" beziehen.


Der essayistische Blog "Megamaschine" soll nun vor dem Hintergrund all dieser gesellschaftlichen Entwicklungen eine Position einnehmen zwischen den Wissenschaftgläubigen einerseits und den Wissenschaftsfeinden andererseits.

Denn was fehlt ist eine Position der Wissenschafts-und Technikkritik, die nicht wissenschaftsfeindlich ist, die sich nicht auf Esoterik oder Ähnliches bezieht, sondern auf den berechtigten Zweifel.

Angesichts dessen, was wir als Gesellschaft seit vielen Jahrzehnten über Wissenschaft, Macht und Politik wissen, ist eine religiös anmutende und romantisierende Wissenschaftshörigkeit, die die (monotheistischen) Religionen durch einen Szientismus ersetzen, nicht angebracht, sondern bedeutet nur eine nach dem Autoritätsprinzip waltende Naivität und Vermessenheit gleichermaßen. Der Glaube, Wissenschaft und Technik könnten all unsere Probleme lösen, ist am Ende nur ein weiterer Baustein in der spätkapitalistischen Hybris des Menschen. Gleichzeitig ist auch die völlige Ablehnung des wissenschaftlichen Fortschritts eine fatale Ideologie, weil zumeist vergessen wird, dass Wissenschaft und Technik wesentliche und wichtige Elemente der menschlichen Kultur sind, ohne die wir nicht mehr auskämen.

Wissenschaftliches Wissen und Objektivität


Wichtig ist dabei gleich zu Beginn klarzustellen: Wer sich mit Wissenschaft und Technologie beschäftigt, muss anerkennen, dass man die Wissenschaft nicht auf eine Stufe außerhalb der Gesellschaft stellen kann, dass sie nicht von einem archimedischen Punkt aus operiert, sondern dass sie ein Teilsystem der Gesellschaft darstellt. Wissenschaftliche Objektivitität ist zwar eine Grundtugend des Wissenschaftlichen, diese kann aber in der Realität niemals völlig erreicht werden, weil die Wissenschaft in die Gesellschaft eingebettet und nicht von ihr abgekoppelt ist. Diese eigentlich banale Erkenntnis, nämlich, dass Wissenschaft aus Menschen besteht, hat jedoch weitreichende erkenntnistheoretische, d.h. das Wissen betreffende Konsequenzen: Wissenschaftliches Wissen wird in einem Netz an (politischen, ressourcenspezifischen sozialen, finanziellen, institutionellen usw.) gegenseitigen Abhängigkeiten in einem bestimmten Kontext produziert. Und je nachdem wie stark oder schwach diese Interdependenzen sind, wirkt sich dies auf die wissenschaftlichen Inhalte aus, die in einem wissenschaftlichen "Denkkollektiv" mit einem ganz bestimmten "Denkstil" - die beiden Begriffe stammen von dem Immunologen und Philosophen Ludwik Fleck - entstehen. Kurzum: Das wissenschaftliche Wissen baut im wesentlichen auf Konventionen einer sozialen Gruppe in einem bestimmten Kontext auf und ist nicht automatisch oder per definitionem innovativ.


Wichtig ist auch zu sehen, dass die wissenschaftlich tätigen Menschen eben keine Priester des Objektiven sind, sondern sich als soziale Wesen in einem sozialen System, einem Millieu, einer Bubble gewissermaßen, aufhalten. Sie machen mitunter Fehler, sie wurschteln herum, sie buckeln vor Autoritäten, dienen sich an, haben Affairen, hantieren nach offiziellen wie auch inoffiziellen Regeln, die ihren Handlungsspielraum einengen oder erweitern, stehen mal mehr, mal weniger mit der Politik in Verbindung oder politisieren ihre Inhalte. Insbesondere letzteres ist ein spannendes wie auch brisantes Verhältnis: Jenes von Wissenschaft und Politik ( "Politik" letzlich auch im weitesten Sinne). Die beiden Bereiche beziehen sich immer wieder aufeinander, legitimieren sich gegenseitig/ mithilfe des Anderen und sind aufeinander angewiesen; manchmal mehr, manchmal weniger.


Das angesprochene Problem mit der Objektivität sehen wir übrigens gut veranschaulicht anhand der Debatten um angebliche klare Fakten in der Datenlage hinsichtlich Covid-19. Wer sich rhetorisch profilieren und seinen Standpunkt untermauern will (egal welchen Standpunkt er in der Debatte bezieht), beruft sich immer auf angeblich unverrückbare Fakten. Klar ist jedoch, dass Daten immer erst von jemandem interpretiert werden müssen, der aus einem bestimmten Kontext heraus handelt. Daten müssen erhoben, strukturiert, interpretiert werden und werden anschließend von einer forschenden Person, die in einem institutionellen Zusammenhang (Institute, Firmen, Konzerne etc.) arbeitet, in sprachlicher Form wiedergegeben oder aber visualisiert. Dabei sind die Ergebnisse immer von demjenigen, der sie strukturiert und interpretiert sowie dem gesamten Erhebungssetting und Zusammenhang relativ abhängig. Auf den Punkt bringt dieses Dilemma der Objektivität der Physiker und Philosoph Heinz von Förster, indem er betont: "Objektivität ist die Wahnvorstellung, Beobachtungen könnten ohne einen Beobachter gemacht werden."


Konsequent zu Ende gedacht bedeutet dies, dass man immer zwei Mal hinsehen sollte, wenn sich jemand auf "klare Fakten" bezieht und somit reine, echte Wissenschaftlichkeit suggerieren will. Und erst recht kann man skeptisch sein, wenn dies die Politik tut.



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